Ostinato

Ostinato, > Melos, > Modus und > Bordun bilden die wesentlichen Komponenten des elementaren Satzes im Sinne Carl Orffs. Als Ostinato (Europäische Musik) oder Pattern (Populäre und nichtwestliche Musik) bezeichnet man eine rhythmische, melodische oder harmonische Einheit, die durch ihre formelhafte Wiederholung Struktur schafft. Grundsätzlich ist Repetition von Formeln „ein Strukturmerkmal, welches in den unterschiedlichsten Musikstilen anzutreffen ist“ (Fischer 2009, 187). In der Neuen Musik spricht man bei der Kompositionstechnik von > Minimalismus, die entsprechende Musik in den USA ist die minimal-music (Lovisa 1996). Musik, die ausschließlich mit kleinen permanent wiederholten Formeln arbeitet, wird auch als repetitive Musik bezeichnet. N. J. Schneider hat auf „gemeinsame Strukturmerkmale der Musik Carl Orffs und der repetitiven Musik“ des 20. Jahrhunderts hingewiesen (Schneider 1988, 357 ff.) und C. Fischer hat den Minimalismus als Kompositionsprinzip bei Gunild Keetman dargestellt (Fischer 2009).

Kompositorische Strukturen auf der Basis ostinat wiederholter Bausteine finden sich in zahlreichen Kompositionen der Musikepochen bis ca. 1750 und ab 1900 (Troschke 1997, Fischer 2009, 185f.). Die Tanzmusik der Renaissance arbeitet mit Bass-Ostinati, über denen immer wieder neue Melodien improvisiert werden (Passamezzo, Pavane, Malagueña). Orff hat sich intensiv mit der > Alten Musik befasst. Der Ostinato-Kanon „Sumer is icumen in“ aus dem 13. Jahrhundert wurde unter dem Titel „Sommerkanon“ in das OSW „Musik für Kinder übernommen (Orff/Keetman 1950-54, Bd. 1, 90-95) Die Ostinato-Komposition „The Bells“ von W. Byrd aus der Elizabethanischen Virginalmusik hat Orff in seiner Komposition „Entrata“ verarbeitet (Orff 1975, Lehrjahre, 193ff.). Die Romantik greift aufgrund ihrer Bezüge zur Volksmusik die Satztechnik von Ostinato und Bordun auf, um Anklänge an Volksmusik zu schaffen, wie z.B. in F. Schuberts Lied „Der Leiermann“ („Die Winterreise“) oder in M. Mussorgskys Klavierstück „Das alte Schloss“ („Bilder einer Ausstellung“). In der Musik der Moderne wird der Ostinato zu einer häufigen Erscheinung vor allem dann, wenn Elemente aus der Folklore verarbeitet werden. Der Jazz kennt das Riff als melodisches Pattern und das Bluesschema als harmonisches Pattern.

Für Musikarten, deren Funktion die Erzeugung von Ekstase oder Trance ist, bilden Patterns eine strukturelle Voraussetzung wie z.B. in den perkussiven Musikkonzepten der schwarzafrikanischen und afro-iberischen Musikkulturen. In den Ethnomusiken bzw. Volksmusiken formen Ostinato-Strukturen vor allem die Musik zum Tanz. Das Rhythmuspattern korrespondiert dann oft mit dem Pattern der Schrittbewegung. Orff ist mit der Patternbildung in den 1920er Jahren sowohl durch > Jazz und jazzverwandte Unterhaltungsmusik in Berührung gekommen wie auch durch das Studium musikethnologischer Schallplatten und Literatur (> Elementare Musik). Patternbildungen in den „Carmina Burana“ sind von populärer Musik beeinflusst (Gläß 2008, 103ff.).

Orffs Improvisationsunterricht in der > Günther-Schule ging u.a. von „der Verwendung verschiedener Tanzrhythmen, wie Bolero, Habanera, Siciliana und anderen, die mit ihren markanten Begleitrhythmen melodie- und formbildend waren“ (Orff 1976, 30) aus. Im kompositorischen Werk Orffs findet die Wende zum elementaren, rhythmisch-melodischen Satz in der Zeit zwischen den Monteverdi-Bearbeitungen (1923-25) und den Kantaten nach Texten von F. Werfel und B. Brecht (1930/31) statt, also genau in den ersten Arbeitsjahren an der im Herbst 1924 gegründeten Günther-Schule. In der Kantate „Der gute Mensch“ (Orff 1931/1968) treten uns die drei Komponenten des elementaren Satzes deutlich entgegen: Der Sprache entwachsenes, mediterran beeinflusstes vokales Melos (Takt 1-33), rhythmische Ostinati (Takt 34-51) und Bordun. In der Improvisationswerkstatt der Günther-Schule vollzieht sich der Wandel zu dem Stil, der von den „Carmina Burana“ (1937) an Orffs Werk prägt.

Im Zeitabschnitt von 1924 bis 1931 arbeitet Orff mit seinen Schülerinnen vorwiegend improvisatorisch an Musik, die für ihre Musikausbildung und für choreographischen Arbeiten gedacht ist. Die tänzerische Ausrichtung der Günther-Schule lässt für Orff den Ostinato zum bestimmenden Element werden. Die Ensemblemusik Keetmans (Kugler 2000, 244-268) für die > Schulwerkkurse und ihre Kompositionen für die Choreographien der > Tanzgruppe Günther spiegelt die künstlerischen Ergebnisse dieser Praxis. Ihre auf perkussive Patterns reduzierte Komposition > „Ekstatischer Tanz“ (Keetman 1933) darf als frühes minimalistisches Werk einer deutschen Komponistin gelten.

Die Neukonzeption des OSWs > „Musik für Kinder“ erforderte eine weitere Reduzierung des satztechnischen Materials und eine Anwendung des Ostinatoprinzips auf die Gestaltung von > Sprache. Dafür hat Orff mit seiner „Sprechübung“ (Orff/Keetman 1950-54, Bd. 1, 68 ff.) elementare Materialvorschläge gemacht. Keetman (1970, 22 ff.) eröffnet ihre Handwerkslehre wie durch Orffs „Sprechübung“ vorgegeben mit der Bildung „rhythmischer Bausteine“ aus sprachlichen Elementarformen wie Namen, Sprüchen und Spielreimen. Zunächst entstehen eintaktige > Rhythmische Bausteine im geraden und ungeraden Takt für die > Körperperkussion (Klatschen, Patschen, Fingerschnalzen und Stampfen), aus denen größere Einheiten entwickelt werden. Der Anspruch an die spieltechnische Gewandtheit Ostinati wird stufenweise bis zu schwierigen und komplexen Formen gesteigert (Orff/Keetman 1950-54, Bd. 5, S. 80-100), was die künstlerische Zielsetzung dieser repetitiven Technik unterstreicht. Das Prinzip ostinater Bausteine überträgt Keetman auf die Klangwelt der vom > Bordun geprägten > Stabspiele sowie auf den Bau ihrer Musik für > Blockflöten. Für die Strukturbildung des > Elementaren Klangsatzes, wie ihn W. Thomas als Grundlage des Schulwerks beschrieben hat (Thomas 1977, 71ff.), sind Keetmans ostinate Klanggebilde von großer Bedeutung. Es geht um Klangbauverfahren, die sowohl zur Improvisation wie auch zur Festlegung von Kompositionen führen können. Ihre „Geschichteten Ostinati“ (Keetman 1970, 78ff.), in denen „viele Ostinati zu einem großen Klanggebäude übereinandergeschichtet“ (ebd.) werden, stellen Handwerksmodelle für die Improvisation dar. Die eindrucksvolle Raumwirkung dieser Modelle, die sich über sechs Oktaven ausdehnen, kann nur durch aktives Gruppenmusizieren erschlossen werden. Die „Paralipomena“ (Orff/Keetman 1977), ein weitgehend vergessener kompositorischer Nachtrag zur „Musik für Kinder“, enthalten zwei pentatonische und ein modales Modell für ein quasi konzertantes Musizieren zwischen Komposition und Improvisation. Die „Geschichteten Ostinati – Mixolydisch“ (Orff/Keetman 1977, 64-67, Tonbeispiel: Gunild Keetman Collection Track 11) setzen einen > Modus an die Stelle des überbeanspruchten Dur und Moll in einem differenzierten klanglichen Strukturmodell auf der Basis minimalistischer Techniken. Es wird zum Träger ausgedehnter Improvisationsmöglichkeiten, zu denen Vorschläge für Tenorflöte, Sopranflöte und Altxylophon skizziert sind. Hier regiert nicht mehr der abendländische Ostinato sondern das Pattern-Prinzip außereuropäischer Musik.

Musikanthropologisch gesehen ermöglicht die Ostinatotechnik eine Verbindung des OSWs zum Pattern-Prinzip, einem universalen musikalischen Strukturprinzip und bereitet damit den Weg zu anderen Musikkulturen und zu einem interkulturellen Musikverständnis (Fischer 2009, 194ff.). Grundsätzlich ermöglicht die Patternstruktur zwei psychologische Wirkungen, Ekstase und Meditation, also die ständige Steigerung der somatischen Energien im Tanz auf der einen und die Reduzierung, also konzentrative und meditative Zustände, auf der anderen Seite. Letzteres muss Keetman bewusst gewesen sein, denn es gibt in ihren handschriftlichen Aufzeichnungen einen Musiktypus mit dem Titel „Monotonie“ (Kugler 2008, 15f.), der durch Keetmans Begegnung mit dem > Ausdruckstanz M. Wigmans angeregt ist. Der Begriff Monotonie stammt aus einem meditativen Choreographietypus in dem Tanzwerk „Die Feier“ von M. Wigman. Der erste Teil besteht aus vier „Monotonien“, von denen die 1926 entstandene „Drehmonotonie“ die bekannteste ist (Müller 1986, 135ff., Bach 1933, 48ff.). Wigman hat diese monotone, also an Patterns orientierte Musikgestaltung auf ihrem Weg zu den perkussiven Instrumenten für sich entdeckt. In Keetmans Notizheften aus der Zeit von 1928-1930 (Orff-Zentrum München) findet sich eine Melodieniederschrift mit dem Titel „Wigman.Monotonie“ und weitere Stücke für Blockflöten mit dem Titel „Monotonien“ (Kugler 2008, 16). In den ausgeführten Kompositionen können für diesen Typus Nr. 16 und 17 aus den „Spielstücken für Blocklöten“ (Keetman 1932/1951) und Nr. 2 und 6 aus den „Spielstücken für Blockflöten und kleines Schlagwerk“ (Keetman 1932/1952) als Beispiele herangezogen werden. Die meditative Wirkung dieser Stück lässt sich an den Klangbeispielen auf der Dokumentation „Musica Poetica“ (Orff/Keetman: Musica Poetica, CD 5 Track 16a, b, 17) nachvollziehen, kann aber in ihrer eigentlichen Intensität nur durch ein lebendiges Spiel, bei dem die jeweiligen ostinaten Gruppierungen längere Zeit wiederholt werden, in Verbindung mit konzentrativen Übungen einer zuhörenden Gruppe lebendig gemacht werden.

Lernpsychologisch gesehen fördert das Gestalten mit kleinen Patterns im Musikunterricht das prozedurale Lernen, das sich auf ein Handlungswissen richtet (Gruhn 2003, 95). Auch die Verarbeitung spontaner Improvisation im Rahmen größerer Formen wird möglich, wodurch weniger geförderte Kindern den Aufbau musikalischer Kompetenz leichter bewältigen können. Denn musikpädagogisch gesehen müsste „Musik im schulischen Lernprozess von Handlungskompetenz (Improvisieren, Komponieren) ausgehen, damit sich ein … Repertoire von musikalischen Strukturen bilden kann, über die man aktiv verfügt …“ (Gruhn 2003, 111). In der Praxis droht dem Ostinato-Prinzip allerdings Verflachung durch unsensibles mechanisches Spiel, mangelnde metrische Differenzierung und ein lärmiges Forte-Spiel, vor dem Orff schon in den Anfangsjahren des Schulwerks gewarnt hatte (Orff 1932 und 1932/33, in: Kugler 2002, 181, 190). Zur Stagnation kann auch mangelnde gestalterische Weiterarbeit führen mit der latenten Gefahr, „dass Einfaches und Elementares zum Simplen gerät“ (Antholz 1970, 77).
Wie schon erwähnt, spielen Ostinatostrukturen auch für den > Tanz und die Bewegungsimprovisation eine wichtige Rolle. Dabei treten Bewegungs- und Musik-Ostinati in wechselseitige Beziehungen und steigern dadurch die Möglichkeiten kreativer Gestaltung (Haselbach 1976, 90-92).

Literaturverzeichnis der OSG bzw. COS: Orff/Keetman 1950-54, Keetman 1970, Orff 1976
Weitere Literaturhinweise:
Antholz, Heinz: Unterricht in Musik. Düsseldorf 1970
Bach, Rudolf: Das Mary Wigman-Werk. Mit Beiträgen von M. Wigman. Dresden 1933
Fischer Cornelia: Gunild Keetman und das Orff-Schulwerk. Mainz 2009
Gläß, Susanne: Carl Orff. Carmina Burana. Kassel 2008
Gruhn, Wilfried: Lernziel Musik. Perspektiven einer neuen theoretischen Grundlegung des Musikunterrichts. Hildesheim 2003
Haselbach, Barbara: Improvisation, Tanz, Bewegung. Stuttgart 1976
Lovisa, Fabian R.: minimal-music. Entwicklung, Komponisten, Werke. Darmstadt 1996
Keetman, Gunild: Ekstatischer Tanz. Mainz 1933
Keetman, Gunild: Spielstücke für Blockflöten (1932). Mainz 1951
Keetman Gunild: Spielstücke für Blockföten und kleines Schlagwerk (1932). Mainz 1952
Keetman, Gunild: Elementaria. Erster Umgang mit dem Orff-Schulwerk. Stuttgart 1970
Kugler, Michael: Die Methode Jaques-Dalcroze und das Orff-Schulwerk „Elementare Musikübung“. Frankfurt/M. 2000
Kugler, Michael (Hg.): Elementarer Tanz. Elementare Musik. Mainz 2002
Kugler, Michael: Ostinato und Modus – Gunild Keetmans Musik zwischen Improvisation und Komposition. Referat auf dem Symposion G. Keetman im OZM München 2004. Ungedrucktes Manuskript 2008
Müller: Hedwig: Mary Wigman. Leben und Werk der großen Tänzerin. Weinheim/Berlin 1986
Orff, Carl: Rhythmisch-melodische Übung. Mainz 1933
Orff, Carl: Veni Creator Spiritus, Der gute Mensch, Fremde sind wir. Kantaten nach Texten von Franz Werfel (1930/31). Mainz 1968
Orff, Carl: Von der Freundlichkeit der Welt. Chorsätze nach Texten von Bert Brecht (1930/31). Mainz 1973
Orff, Carl/Keetman, Gunild: Paralipomena. Mainz 1977
Orff, Carl: Lehrjahre bei den alten Meistern. Tutzing 1975 (Dok. C. Orff u. sein Werk Bd. 2)
Orff, Carl/Keetman, Gunild: Musik für Kinder. 5 Bde., Mainz 1950-54
Schneider, N. Jürgen: Carl Orff und die repetitive Musik nach 1960, in: Bayerische Akademie der Schönen Künste (Hg.): Jahrbuch 2/2 (1988). München 1988, 354-374
Thomas, Werner: Musica Poetica. Gestalt und Funktion des Orff-Schulwerks. Tutzing 1977
Troschke, Michael von: Ostinato, in: MGG neubearb. Ausgabe, Sachteil Bd. 7 (1997), Sp. 1235-1240
Medien:
Gunild Keetman Collection. Orff-Schulwerk. Musik für Kinder. Music for Children. CD Harmonia Mundi, Freiburg 1991
Orff, Carl/Keetman Gunild: Musica Poetica. Orff-Schulwerk. 6 CD in Kassette. Kommentar von Werner Thomas. BGM Music 1994

 

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