Stäbetanz

Der „Stäbetanz“ der > Günther-Schule ist eine Choreographie von Maja Lex mit Musik von Gunild Keetman. Einige Fotos von 1928 (Orff 1976, 98) zeigen eine kreative Szenerie im Hof der Günther-Schule, in der Musik auf > Blockflöten und > Trommel in enger Verbindung mit Tanz durch Improvisation entstehen. Ähnlich hat man sich auch die Aktivitäten vorzustellen, die zur Entstehung des Stäbetanzes geführt haben. Anlass war ein westafrikanisches Balafon (> Xylophon), das Orff an der Jahreswende 1926/27 als Geschenk erhielt. Keetman befasste sich improvisierend mit den Spielmöglichkeiten und es entstand eine Musik für vierhändig gespieltes Xylophon, kleines Perkussionsset und Körperperkussion. Orff gibt davon folgende Beschreibung:

„Wenn Keetman abends nach Schulschluss noch bis in die späte Nacht hinein ihre Versuche machte, … ergab es sich von selbst, dass immer mehr Schüler zuhörten und allerlei kleines Schlagwerk, Rasseln, Schellen und Trommeln mitbrachten. Aus den ersten schüchternen Versuchen wurde bald ein richtiges Zusammenspiel. Auch Lex wurde von unserem abendlichen Musizieren angezogen und war von den neuen Klängen begeistert, die sie gleich zu einer Tanzstudie, dem ‚Stäbetanz‘ inspirierten“ (Orff 1976, 96, Foto 98). Die Dokumentation zeigt einen Ausschnitt von Keetmans autographer Partitur (Ebd. 99-101).

Der „Stäbetanz“ bildete dann den zweiten Teil des fünfteiligen Tanzwerks > „Barbarische Suite“, mit dem die > Münchner Kammertanzbühne der Günther-Schule auf dem 3. Deutschen Tänzerkongress einen sensationellen Erfolg erzielte. Die Redaktion der für den modernen Tanz führende Zeitschrift „Schrifttanz“ bat daraufhin Dorothee Günther um eine Beschreibung der Choreographie, aus der der folgende Abschnitt zitiert wird:

„‘Stäbetanz‘ ist ganz gesammelte Intensität. Steht allein auf der Person von Maja Lex, neben ihr zwei Sitztänzerinnen; sie selbst aus dem Sitz in den Sitz zurücktanzend. Das wesentlichste Moment musikalisch: die 3 Tänzer arbeiten den Klang ihrer bewegungsmäßig bedingten Bambusstäbe (ca. 40 cm lang) in den Orchesterklang ein, ebenso ist das Händeklatschen der 2 Sitztänzerinnen, die ihre Stäbe niederlegen, wenn Maja Lex aufsteht, einkomponiert. Das Orchester begleitet außer den übrigen Instrumenten im A-Teil mit Fußrasseln. Form: A – B – A. Die A-Teile nur im Sitz, B: Lex im Tanz mit Stäben, die sie magisch bannen und mit denen sie wiederum bannt, das Ganze ein Wechsel panthergleicher Ruhe und Sprungbereitschaft“ (Günther 1931, in: Kugler 2002, 142).

Mehrere Eigenschaften dieses Tanzwerks und seiner Musik galten damals als besonders innovativ:

– Die Arbeit mit Stäben in tänzerischer und in musikalischer Hinsicht, das bedeutet die Einbindung der tänzerisch-perkussiven Klänge in den Satz des Orchesters.

– Die sog. „Sitztänzerinnen“, die als Körperperkussionistinnen agieren.

– Die Exploration der Stäbe als motionales und musikalisches Material.

– Die Partitur als minimalistisches, ausschließlich mit perkussiven Klängen arbeitendes Werk einer Komponistin (Fischer 2009, 108ff., 185ff.).

Auch in den Tanzproduktionen am > Bauhaus gab es einen „Stäbetanz“. Er stammt von Oskar Schlemmer, dem Leiter der Bühnenwerkstatt am Dessauer Bauhaus und gehört zu den klassischen Bauhaustänzen. Diese Raum-, Formen-, Gesten-, Stäbe- und Reifentänze wurden in den Jahren 1927/28 (Bauhaus-Archiv/Droste 2019, 332-34) produziert. Das „Triadische Ballett“ und das „Mechanische Ballett“ spiegeln allerdings eine völlig andere ästhetische Konzeption als die Choreographien der Günther-Schule. Das visuelle Erscheinungsbild ist stark von geometrischen bzw. kubischen Formen bestimmt (ebd. 2019, 328-331). Die Bewegungsstrukturen des „Mechanischen Balletts“ bestanden größtenteils aus ruckartigen und technisch-maschinenhaften Abläufen, mit denen Schlemmer „das Prinzipielle des Maschinenwesens“ darstellen wollte. Man wählte deshalb einen konstanten Rhythmus, „um die Monotonie des Maschinenmäßigen zu unterstreichen“ (Kurt Schmidt, zit. Droste 2019, 224). In Schlemmers Arbeit wurden der Tänzerin „zwölf Stäbe unterschiedlicher Länge … an den Gliedmaßen befestigt“, die laut Schlemmer „die dem Köper innewohnende Mathematik“ veranschaulichen sollten (Meyer 2001, 66).

Der Gegensatz zu dem Projekt von Maja Lex und Gunild Keetman könnte größer nicht sein. Während Schlemmers Tanz aus geometrischer Linienhaftigkeit im Raum besteht und durch die am Körper fixierten Stäbe statischen Charakter hat, erwächst die Choreographie der Günther-Schule aus fließenden, quasi organischen Bewegungen, deren Duktus aus dem Inneren der improvisierenden Körperlichkeit entsteht. Dabei folgen die Stäbe sowohl einer tänzerischen wie einer rhythmisch-musikalischen Funktion.

 

Literaturhinweise:

 

Abraham, Anke/Hanft, Koni (Hg.): Maja Lex. Ein Porträt der Tänzerin, Choreographin und Pädagogin. (Köln) 1986

Bauhaus-Archiv Berlin. Droste, Magdalena (Hg.): Bauhaus1919-1933. Bonn 2019 (2. Aufl.)

Günther, Dorothee: Die Barbarische Suite (1931), In: Kugler 2002, 139-143

Kugler, Michael (Hg.): Elementarer Tanz – Elementare Musik. Die Günther-Schule München 1924 bis 2944. Mainz 2002

Meyer, Claudia: Stäbetanz. Bauhaustänze als Impuls für das Tanzen mit Kindern, in: Üben & Musizieren 2001, H. 3, 65-69

Orff, Carl: Schulwerk. Elementare Musik. Tutzing 1976 (Carl Orff und sein Werk, Dokumentation, Bd. 3)

Wolf, Dagmar: Maja Lex. Tänzerin, Choreographin und Pädagogin der reinen Gesten, in: Tanzdrama 34 (1996), 15-23

 

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