Perkussion

Siehe auch > Trommel, > Pauke, > Xylophon, > Glockenspiel, > Metallophon

Perkussion

 

Das perkussive Prinzip im menschlichen Verhalten lässt sich schon bei Kleinkindern beobachten. Bewegungsaktionen und „die manuelle Herstellung von Klängen, z.B. durch das wiederholte Aneinanderschlagen von klang- und geräuscherzeugenden Gegenständen, ermöglichen elementar musikalische Erlebnisse“ (Stadler Elmer 1997, 36f.). Die vitale Freude am spontanen Perkussionsspiel „is linked with our infant delight in striking, stroking, scraping, shaking, tapping, beating each thing we encounter“ (Goodkin 2002, 79). Der Musikanthropologe Curt Sachs, mit dem Carl Orff intensiven Kontakt hatte (Weinbuch 2010, Rösch 2022), spricht von zwei menschlichen „Elementarbedürfnissen: Rhythmus und Lärm“ (Sachs 1930/1959, 25). Nach James Blades (1970, 33-43) sind die > Körperperkussion und die Idiophone als „origins of percussion“ (1970-33-43) zu sehen. In der Ethnomusikologie unterscheidet man als Erscheinungsformen Rasseln, Stampfbretter, Schraper und Klappern.

Das primäre Stadium perkussiven Agierens ist die Körperperkussion, die auch heute noch in Veranstaltungen populärer Musik und im Fußballstadion ein intensives motionales Rhythmuserlebnis ermöglicht, das das kollektive Bewusstsein bis hin zu ekstatischen Zuständen verstärkt. Bei der Körperperkussion geht es nicht nur um die hörbare, sondern auch um die propriozeptive Ebene und die Ebene der sozialen Kommunikation. Klatschen wird als eine Form unmittelbarer Teilhabe an einem ästhetischen Verhalten wahrgenommen, das niemand ausschließt. Der multisensorische Aspekt verstärkt sich bei der Verwendung von Schlaginstrumenten, denn “Perkusssionsrhythmik versetzt … den Körper über Gehörsinn, Gesichtssinn, Drucksinn und Muskelsinn in eine einzige übereinstimmende Vibration“ (Raab 1991, in: Kugler 2003, 121). Für Europäer ist es schwer nachvollziehbar, dass schwarzafrikanische, afroamerikanische und afrobrasilianische Musikarten im körperlichen, instrumentalen und vokalen Ausdruck meist perkussiv orientiert sind. Die perkussiven Impulse bilden die Basis der musikalischen Struktur und stellen deshalb bei Vokalmusik keine Begleitung dar. Das lässt sich exemplarisch an der Rezeption der nordamerikanischen schwarzen Gospel Music studieren, die seit der Umgestaltung in moderne Gottesdienstlieder und Unterrichtsmaterial in den 1960er und 1970er Jahren als rhythmisch beschwingte Musik reinterpretiert wird. An die Stelle des patting and clapping als Musik erzeugende Struktur tritt ein additives Klatschen (Kugler 1986). Ähnliches gilt auch für das Spiel der Small Percussion aus afro-iberischer Musik im musikpädagogischen Kontext. Das ist darauf zurückzuführen, dass der musikalische Enkulturationsprozess in vielen nichtwestlichen Musikkulturen von einem motional-tänzerischen Körperkonzept bestimmt wird, in Europa dagegen von einer Entkörperlichung (engl. disembodiment), einem unbewusst wirkenden Prozess, zu dessen Merkmalen eine, mit Triebverzicht verbundene Disziplinierung des Körpers und seine Funktionalisierung auf eine ökonomisch orientierte Industriegesellschaft hin gehören (Klein 1990, Rittner 1991).

Zur Perkussion müssen drei musikanthropologische Aspekte berücksichtigt werden, bei denen es um energetische Wirkungen geht, die auch magisch genannt werden. Orff hat selbst das Wort „magisch“ im Zusammenhang mit der Perkussion verwendet:

– Perkussion und Arbeitsvorgänge bilden ein Thema seit der Studie „Arbeit und Rhythmus“ des Nationalökonomen Karl Bücher (1896), die in der Zeit von Jaques-Dalcroze intensiv rezipiert wurde. Musik funktioniert als „rhythmisch reglementierendes Signal“ (Suppan 1984, 84), wobei die Perkussion naturgemäß eine Hauptrolle spielt. Diese Arbeitsmusik ist keine background Music sondern ein Energie erzeugendes Medium, denn „die Musiker spielen den Arbeitern Kraft zu“ (Suppan 1984, 82).

– Perkussion und Tanz hängen eng zusammen. Die Bewegungen der Körperperkussion und des Tanzes sind teilweise identisch. Das Klatschen und Stampfen ist dann meist keine musikalische Begleitung des Tanzes, sondern es ist Teil eines motionalen Konzepts, das wir Tanz nennen. Das lässt sich u.a. am oberbayerischen Plattler, am Baile Flamenco und am Kunsttanz Nordindiens verifizieren. Der perkussiv erzeugte Klang hat punktuellen Charakter und steht damit der Tanzbewegung der Füße nahe, die bei der Berührung des Bodens meist ein Impulspattern produzieren, … was oft durch das Anbringen kleiner Idiophone wie Schellen, Rasseln oder Glöckchen im Fußbereich verstärkt wird“ (Kugler 2003, 121).

– Perkussion und Kult: Die Perkussion ist in kultischen Handlungen ein unentbehrlicher Träger von magischen Wirkungen. Die Schlaginstrumente stehen vom Anfang ihrer Entwicklung bis zu den Hochkulturen weltweit in kultischen Diensten“ (Weinbuch 2010, 165). Das betrifft z.B. die Glöckchen in der katholischen Messfeier und in buddhistischen Kulthandlungen ebenso wie die Trance auslösenden Trommeln der afrokubanischen und afrobrasilianischen Kulte wie Macumba und Candomblé, die ohne Trommeln gar nicht stattfinden können. Die Phänomene Besessenheit, Trance oder Ekstase werden in der Musikanthropologie unter dem Aspekt „Musik und veränderte Bewusstseinszustände“ (Brandl 1993, 599) thematisiert.

Die Fokussierung auf Körperwahrnehmung (> Körper) und Bewegung in der > Rhythmus- und Tanzbewegung führte zu einer Wiederentdeckung der Perkussion, wie z.B. Rudolf von Labans Rahmentrommel auf dem Monte Veritá und Mary Wigmans Perkussionsorchester in Dresden (Müller 1986, 42, 128 f.). Wigmans Solotanz „Drehmonotonie“ von 1926 entsteht aus einer Einfühlung in den Klang eines chinesischen Gongs (Wigman 1963, 37). Orff spricht bei den Perkussionsinstrumenten mit Blick auf nichtwestliche Kulturen gerne von der „Magie des Klanges“ (in: Kugler 2002, 188) und ist darin von Wigmans > Ausdruckstanz einerseits und von > Musikethnologie andererseits beeinflusst. Besonders beeindruckt war er von Wigmans „Hexentanz“ II (1926), dessen avantgardistisches Klangbild ausschließlich mit Schlaginstrumenten erzeugt wurde (Partitur: Bach 1933, 29).

Der Weg Orffs zur Perkussion ist in der Frühgeschichte des Schulwerks ein Weg des Entdeckens und Improvisierens. Das Schlüsselerlebnis war eine Führung durch die Sammlung exotischer Schlaginstrumente in der Staatlichen Instrumentensammlung in Berlin 1923 mit dessen Leiter C. Sachs, der dabei besonders der Zusammenhang von Perkussion und Tanz betonte (Rösch 2022, 88ff.). Bei der Verabschiedung gab Sachs ihm den Satz „Am Anfang war die Trommel“ (Orff 1976, 14 f.) mit, der Orff lebenslang begleitet hat. Sogar das > Klavier, Orffs primäres Ausdrucksinstrument, folgt im kompositorischen Werk einer perkussiven Ästhetik. Schon in den frühen Kantaten nach Texten von F. Werfel (1931) sind die beiden Klaviere „ganz als Perkussionsinstrumente behandelt“ (Thomas 1975, 192). Die Voraussetzung dafür war „die Entdeckung exotischer Perkussionsinstrumente und die in der Schulwerkarbeit damit gesammelten Erfahrungen“ (ebd. 207), sodass das Schlagwerk für Orff zum primären Bestandteil der Kompositionwerden konnte.

Orff hat sich mit den Schlaginstrumenten der frühen europäischen Musik im „Syntagma Musicum“ (1619) von M. Praetorius befasst (Kugler 2002, 189) und er kannte das Schlagzeug im Jazz und in jazzverwandter Unterhaltungsmusik der 1920er und 1930er Jahre. Er studierte musikethnologische Literatur und kaufte für die Günther-Schule Schallplatten mit ethnologischen Aufnahmen aus Schwarzafrika und Indonesien sowie Perkussionsinstrumente außereuropäischer Kulturen. Der Weg in der Günther-Schule führte vom Tanz mit Körperperkusssion und am Körper befestigten Klangerzeugern zu den Schlaginstrumenten: „Wir begannen mit Händeklatschen, Fingerschnalzen und Stampfen“ und verwendeten auch „Rasseln …, Rasselbänder und Rasselgehänge, die an Handgelenk, Knie oder Fußknöchel … getragen wurden“ (Orff 1976, 17f.).

Besondere Impulse löste ein westafrikanisches Balafon und ein einfaches Kastenxylophon (Varsány 2015, 180ff.) aus, denn die Exploration dieser kulturfremden Instrumente stimulierte auch die tänzerische Improvisation (Orff 1976, 87ff.). Orff ließ von dem Münchner Instrumentenbauer Karl Maendler > Xylophone in verschiedenen Tonlagen nach afrikanischen und indonesischen Vorbildern nachbauen, die sowohl für die künstlerische Arbeit wie auch für die > Schulwerkkurse unentbehrlich wurden. Die Erschließung der Spieltechniken und der anschließende Unterricht war ausschließlich das Werk Keetmans. Das Perkussionsorchester der > Günther-Schule, für das das Perkussionsorchester der Mary-Wigman-Schule in Dresden (> Ausdruckstanz) als Vorbild gedient hatte, erregte durch seine besondere Klangästhetik bei der Tanz-Avantgarde der Weimarer Republik großes Aufsehen. Es diente ausschließlich den künstlerischen Projekten von Maja Lex (Choreographie) und Gunild Keetman (Komposition). Das sog. klassische > Orff-Instrumentarium der 1950er Jahre wurde ab 1949 in einer Instrumentenbauwerkstatt in Gräfelfing bei München gebaut (> Studio 49) und diente der Konzeption des OSWs in den Schulfunksendungen des Bayerischen > Rundfunks, aus denen die Publikation > „Musik für Kinder“ hervorgegangen ist.

Orff hat die Suche nach Perkussionsinstrumenten für sein Musiktheater lebenslang fortgesetzt. (Weinbuch 2010, 162ff.). Vor allem in den Griechendramen fungiert das vielfältige Schlagwerk „als eine Welt des Vormusikalischen, des Rhythmus, der noch das klingende Reale (Holz, Metall, Fell) in einer fast unerschöpflichen Vielfalt umfasst und … dessen Bedienung im übrigen mehr noch als das Spiel auf den eigentlichen Musikinstrumenten den Charakter des Tuns bewahrte“ (Kunze 1988, 200). Diese „Beschränkung auf den realen, materialen, durch kompositorische Traditionen nicht determinierten Klang brachte neuartige und überaus mannigfaltige Differenzierungen des erscheinenden Klangs mit sich“ (ebd. 200) und hat Orffs Kompositionstechnik einer klanglichen Inszenierung der Sprache erst möglich gemacht.

 

Literaturhinweise:

 

Bach, Rudolf: Das Mary Wigman – Werk. Dresden 1933

Blades, James: Percussion Instruments and their History. New York 1970

Brandl, Rudolf Maria: Musik und veränderte Bewusstseinszustände, in: Bruhn, Herbert u.a. (Hg.): Musikpsychologie. Reinbek 1993, S. 599-610

Bücher, Karl: Arbeit und Rhythmus. Leipzig 1896, 2. Aufl. 1899

Goodkin, Doug: Play, Sing and Dance. An Introduction to Orff Schulwerk. Mainz/London 2002

Klein, Gabriele: FrauenKörperTanz. Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes. Weinheim 1992

Kugler, Michael:  Körperverlust und Reinterpretation bei der Aufzeichnung und didaktischen Vermittlung von Negro Spirituals, in: Kaiser, Hermann J. (Hg.) Musikpädagogische Forschung Bd. 7: Unterrichtsforschung. Laaber 1986, 181-194

Kugler, Michael (Hg.): Elementarer Tanz – Elementare Musik. Die Günther-Schule München 1924 bis 1944. Mainz 2002

Kugler, Michael: Motion, Perkussion, Improvisation. Orffs Elementare Musik und ihre musikanthropologischen Grundlagen, in: Hörmann, Stefan u.a. (Hg.): In Sachen Musikpädagogik. Frankfurt/M. 2003, S. 109-131

Kunze, Stefan: Orffs Tragödienbearbeitungen und die Moderne, in: Bayerische Akademie der Schönen Künste (Hg.): Jahrbuch 2/1. München 1988, 193-213

Michel, Andreas: Schlaginstrumente. Mittelalter und Renaissance, in: MGG 2. neubearb. Ausgabe, Sachteil Bd. 8, Kassel 1998, Sp. 1070-1096 (Dieser Beitrag behandelt nur die Schlaginstrumente in der europäischen Musik. Die Instrumente der alten Hochkulturen findet man unter dem jeweiligen Land wie beispielsweise Ägypten, China usw., die Instrumente der Ethnokulturen unter den einzelnen Bezeichnungen wie Rasseln, Trommel usw.).

Müller, Hedwig: Mary Wigman. Leben und Werk der großen Tänzerin. Weinheim 1986

Orff, Carl: Schulwerk. Elementare Musik. Tutzing 1976 (Dokumentation Carl Orff und sein Werk, Bd. 3)

Raab, Claus: Perkussionsrhythmik, in: Fellsches, Josef (Hg.): Körperbewusstsein. Essen 1991, 98-124

Rösch, Thomas: Curt Sachs und Carl Orff – Einflüsse der Wissenschaft auf die Musik, in: Kalcher, Anna Maria (Hg.): Orff im Wandel der Zeit. Kunst trifft Pädagogik. Wiesbaden 2022, 83-104

Rittner, Volker: Körper und Körpererfahrung in kulturhistorisch-gesellschaftlicher Sicht, in: Bielefeld, Jürgen (Hg.): Körpererfahrung. Grundlagen menschlichen Bewegungsverhaltens. Göttingen 1991, 125-160

Sachs, Curt: Vergleichende Musikwissenschaft. Musik der Fremdkulturen (1930). Heidelberg 1959

Sachs, Curt: Handbuch der Musikinstrumentenkunde (1930). Hildesheim 1965

Stadler Elmer, Stefanie: Die Anfänge des musikalischen Erlebens und Erkennens, in: Scheidegger, Josef/Eiholzer, Hubert (Hg.): Persönlichkeitsentfaltung durch Musikerziehung. Aarau 1997, 35-49

Suppan, Wolfgang: Der musizierende Mensch. Eine Anthropologie der Musik. Mainz 1984

Thomas, Werner: Der Weg zum Werk. Dokumentation Carl Orff und sein Werk, Bd. 1, Tutzing 1975, 73ff.

Varsány, Andras: Carl Orff und die Musikinstrumente anderer Kulturen, in: Rösch, Thomas (Hg.): Text, Musik, Szene – Das Musiktheater von Carl Orff. Mainz 2015, 175-196

Weinbuch, Isabel: Das musikalische Denken und Schaffen Carl Orffs. Ethnologische und interkulturelle Perspektiven. Mainz 2010

Wigman, Mary: Die Sprache des Tanzes. Battenberg 1963, 37-39

Erstellt am 25.04.2020
Bearbeitet am 23.1.2023

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