Pauken: Kesselpauken, Tanzpauken

Für Europa werden die Länder des Alten Orients zur Quelle des Instrumententypus Pauke. Durch die Kreuzzüge erreichen Instrumente arabischer Herkunft und Bezeichnung Europa und finden Aufnahme in höfische Kapellen. Große Kesselpauken sind in Deutschland am Anfang des 16. Jahrhunderts verbreitet und dienen bald als Militärinstrumente. Die Heerpauken (Abb. in: Praetorius 1619, Bildteil, XXIII) hängen links und rechts an den Pferden und werden mit hölzernen Schlägeln bearbeitet. Zur Zeit Kaiser Maximilians I. rücken die Pauker und Trompeter in den Ritterstand auf und ihr Erscheinungsbild ist in zahlreichen Bildwerken des 16. Jahrhunderts dokumentiert. In der Kunstmusik sind alle Schlaginstrumente bis zur Mitte des 17. Jahrhundert nicht notiert. Sie genießen durch ihre Herkunft aus der Spielmanns- und Militärmusik eine geringe ästhetische Wertschätzung und sind kein Bestandteil des notierten Satzes der Ars Musica. Die Pauken sind zunächst zusammen mit der Signalmusik der Trompeten eng an die Tonika – Dominantbeziehung gebunden. Sie stellen deshalb die vom Militär verkörperte Macht und Herrlichkeit des Fürsten dar, die auch auf Gott als Herrscher wie z.B. im „Weihnachtsoratorium“ von Johann Sebastian Bach übertragen wird. Bei Ludwig van Beethoven findet man drei Pauken im Orchester und in der Romantik werden wie z.B. im „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner oft vier Pauken gefordert.

Im Instrumentarium der Günther-Schule werden zwei Instrumententypen als Pauken bezeichnet, die Kesselpauken und die Tanzpauken. Beide sind in Hans Bergeses Heft „Übung für Schlagwerk. Pauken“ (1932) im Vorwort als Skizze abgebildet und beide finden sich in Orffs Verzeichnissen des Instrumentariums 1925 und 1932 (Orff 1976, 70, 135). Kesselpauken waren in der Günther-Schule von Anfang an vorhanden. Der Unterricht wurde von dem Pauker und Kapellmeister Karl List erteilt, denn „fachgemäße Anleitung und gelenkte Übung waren unbedingt erforderlich“ (Orff 1976, 72). Auch im Vorwort zu Bergeses Übungsheft, das u.a. schwierige Schlagformen und Rhythmen enthält, betont Orff, dass dieses „Heft eine Einführung durch einen Fachlehrer“ (Bergese 1932) erfordert. Die Firma Spangenberg in Dresden hatte schon 1925 neu entwickelte kleine Tanzpauken auf den Markt gebracht, die Paul Hindemith in der Oper „Cardillac“ verwendete. Orff lernte sie aber durch das Instrumentarium der Mary Wigman-Schule (> Ausdruckstanz) kennen (Orff 1976, 69). Die Bezeichnung Tanzpauken ist allerdings irreführend, denn es handelt sich um einfellige, mit Schrauben stimmbare, unten offene Zylindertrommeln, die in vier Größen geliefert wurden. Sie standen auf kleinen Kreuzständern aus Holz. Die Spielerinnen saßen davor auf niedrigen Hockern und spielten in Gymnastikkleidung (Foto: Orff 1976, 142, 149). Die enge Beziehung von Tanz und Instrumentalspiel zeigt sich deutlich im „Paukentanz“ (Fotos: Orff 1976, 190 f.), der zur Choreographie > „Barbarische Suite“ mit Musik von Gunild Keetman gehört. Das Spiel auf zwei Kesselpauken wird zum integrierten Bestandteil des Tanzes (Fischer 2009, 145).

Im Orff-Schulwerk > „Elementare Musikübung“ entwickelt Keetman eine spezifische Kompositionstechnik, in der zwei, drei oder vier verschieden gestimmte Tanzpauken das Fundament des > Klangsatzes bilden und quasi als Bassinstrument fungieren. Die Paukenstimme umschreibt einen Quartklang, Quintklang, Quint-Oktavklang oder pentatonischen Klang durch Spielfiguren, die teilweise eine fortgeschrittene Spieltechnik erfordern. Beispiele dafür sind Nr. 1, 7, 10, 12 in Keetmans Kompositionen „Spielstücke für kleines Schlagwerk“ (Keetman 1932/1953) und Nr. 1, 2, 5, 6, 8, 9 in „Spielstücke für Blockflöten und kleines Schlagwerk“ (Keetman 1932/1952). Eine anspruchsvolle Fundamentstimme mit drei Pauken zeigt der bekannte „Ekstatische Tanz“ von Keetman (1932, Orff/Keetman 1950-54, Bd. 5, 101ff., Tonbeispiel: Keetman Collection). Bei der Ausführung dieser Stücke ist es keineswegs mit dem Abspielen des Notentextes getan, wie es die Schallplattendokumentation > „Musica Poetica. Orff-Schulwerk“ nahezulegen scheint. Die künstlerische Dimension dieser Stücke wird nur durch ein improvisatorisch erweitertes Arrangement erreicht, das sich musikalische oder tänzerische Ziele setzt. Keetmans bewegungsorientierte Musik legt die Umsetzung in tänzerische Formen nahe, denn ihre Spielstücke stellen oft Miniaturen aus dem choreographischen Kompositionsschaffen dar.

Das Orff-Schulwerk > „Musik für Kinder“ (Orff/Keetman 1950-54) ist in seinen ersten Anfängen (ab 1948) für Kinder in Grund- und Hauptschulen (Primar- und Sekundarstufe I) konzipiert und baut seine Strukturen aus einfachen Spiel- und Klangformen auf. Diese Klangformen sind im Band 1 und im ersten Teil von Band 2 für die Entwicklung eines tonalen Elementarverständnisses auf die > C-Pentatonik begrenzt. Die Bassstimme aus Grundton und Oberquint bekommt durch den perkussiven Paukenklang eine rhythmisch intensive Gestalt. Merkwürdigerweise verlangen Orff und Keetman für die Bassstimme auch den gezupften oder gestrichenen Kontrabass, was im Hinblick auf das damals vorhandene Instrumentarium an Schulen unrealistisch anmutet. Es zeigt aber, dass Orffs Vorstellung vom Schulwerk von Anfang an auch auf kompositorische Ideen und nicht nur auf Ausführbarkeit oder methodische Aspekte gründet. Im Band 3 geht es um Dominantbeziehungen und die „Paukenbässe“ (Orff/Keetman 1950-54, Bd. 3, 8f.) werden mit zwei Pauken auf C / G und mit den typischen Rhythmen einer Aufzugsmusik gespielt. Die Bände 4 und 5, in denen die kompositorischen Ziele (Keller 1988) dominieren, enthalten anspruchsvolle Stimmen für drei Pauken, in denen auch die Wirbeltechnik gefordert ist. Viele dieser Stücke finden sich auf der Tondokumentation > „Musica Poetica“ (Orff/Keetman 1994).

 

Literaturhinweise:

 

Bergese, Hans: Übung für Schlagwerk. Pauken. Mainz 1932 (Orff-Schulwerk Elementare Musikübung Heft B2)

Fischer, Cornelia: Gunild Keetman und das Orff-Schulwerk. Elementare Musik zwischen künstlerischem und didaktischem Anspruch. Mainz 2009

Keetman, Gunild: Spielstücke für kleines Schlagwerk. Mainz 1932, Neudruck 1953

Keetman, Gunild: Spielstücke für Blockflöten und kleines Schlagwerk. Mainz 1933, Neudruck 1952

Keller, Wilhelm: Orffs musica poetica: Schul- oder Kunstwerk? Rückblende und Vorschau, in: Bayerische Akademie der Schönen Künste, Jahrbuch 2/1. München 1988, 375-389

Kugler, Michael: Die Methode Jaques-Dalcroze und das Orff-Schulwerk „Elementare Musikübung“. Bewegungsorientierte Musikpädagogik. Frankfurt M. 2000

Kugler, Michael (Hg.): Elementarer Tanz – Elementare Musik. Die Günther-Schule München 1924 bis 1944. Mainz 2002

Orff, Carl: Schulwerk. Elementare Musik. Tutzing 1976 (Dokumentation Carl Orff und sein Werk, Bd. 3)

Orff, Carl/Keetman, Gunild: Musik für Kinder. Orff-Schulwerk. 5 Bde., Mainz 1950-54

Praetorius, Michael: Syntagma Musicum, Teil 2 De Organographia, Wolfenbüttel 1619. Originalgetreuer Neudruck, hg. von Willibald Gurlitt. Kassel 1929

 

Medien:

Keetman Collection. Orff-Schulwerk Musik für Kinder. CD Harmonia Mundi Freiburg 1991

Orff, Carl/Keetman Gunild: Musica Poetica. Orff-Schulwerk. Kassette mit 6 CDs und ausführlichem Booklet von Werner Thomas. BGM Music 1994

 

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