Der Zwiefache ist ein taktwechselnder Paartanz, dessen Hauptverbreitungsgebiete Niederbayern und die Oberpfalz sowie Böhmen (westlicher Teil von Tschechien) sind. Dort bildet der Zwiefache bis heute ein lebendiges Element der authentischen bairischen Volksmusik- und Volkstanzpraxis (Deutsche UNESCO-Kommission). Die temporeiche Musik wird gespielt und gesungen und wechselt zwischen Zweier- und Dreiertakt in einem festen Schema. Getanzt wird der Zwiefache in geschlossener Tanzhaltung mit dem Zweischrittdreher (gerader Takt) und dem Walzerschritt (ungerader Takt). Orffs Kenntnisse über den Zwiefachen und die bodenständige bairische Musik begannen mit Erfahrungen in Kindheit und Jugend (Orff 1975 & Orff 2010) und wurden später fundiert durch seine Freundschaft mit den Musikethnologen Kurt Huber und Felix Hoerburger (> Musikethnologie). Orffs enge Bindung an bairische Musik-, Sprach-, Theater- und Tanztraditionen spiegelt sich im Bühnenwerk in den Stücken „Die Bernauerin“ und „Astutuli“ sowie in den Mysterienspielen „Ludus de nato Infante mirificus“ und „Comoedia de Christi Resurrectione“ (Orff 1980, Schochow o.J., Grill 2021). Im Schulwerk finden sich noch weitere Bezüge zu volksmusikalischen Traditionen (Regner 1980).
Bereits in Orffs Heft > „Rhythmisch-melodische Übung“ (1933) des ersten Orff-Schulwerks > „Elementare Musikübung“ spielen Rhythmus- und Melodiebeispiele mit Taktwechsel in der Art der Zwiefachen eine Rolle. Eines dieser Rhythmusmodelle wird später in den > „Carmina Burana“ in dem Instrumentalstück „Uf dem Anger“ verarbeitet. Auch Orffs „Kleines Spielbuch“ für Klavier (Orff 1962, vgl. auch > Klavierübung) enthält Stücke nach dem Vorbild der Zwiefachen. Der dritte Band des Orff-Schulwerks > „Musik für Kinder“ führt in das Spiel mit Dominanten ein und bringt am Schluss (Orff/Keetman 1950-54, Bd. 3) Beispiele aus der traditionellen bairischen und österreichischen Volksmusik. Vier der dort abgedruckten Melodien von Zwiefachen sind der wissenschaftlichen Arbeit über die Zwiefachen von F. Hoerburger (1956) entnommen. Darauf folgen mehrere Instrumentalstücke mit dem typischen Taktwechsel des Zwiefachen, die mit großer Wahrscheinlichkeit G. Keetman zuzuordnen sind. Im Anhang gibt Orff den methodischen Hinweis: „Bewegungsmäßige Lösungen sind für rhythmische Schulung wichtig“ (Orff/Keetman 1950-54, Bd. 3, 128). Zu den Zwiefachen sollen also eigene Bewegungsformen für Schrittfolgen, Choreographie und ggf. Körperkussion gefunden werden. Es liegt nahe, im Unterricht die Verbindung zu den „Carmina Burana“ herzustellen.
Anmerkung: Unter Bayern (bayerisch / bayrisch) versteht man das heutige, geographisch und politisch definierte Staatsgebiet. Mit bairisch dagegen bezeichnet die Sprachwissenschaft eine Dialektgruppe. Heute wird das Wort bairisch für authentische kulturelle Traditionen in diesem Sprachgebiet angewendet, wie z.B. bairische Dichtung, bairische Trachten, bairische Musik und bairischer Volkstanz.
Literaturhinweise:
Grill, Tobias: Carl Orffs Bairisches Welttheater, in: Edelmann, Bernd u.a.: Carl Orff. München 2021, 149-160 (Komponisten in Bayern, Bd. 65)
Hoerburger, Felix: Die Zwiefachen. Gestaltung und Umgestaltung der Tanzmelodien im nördlichen Altbayern. Berlin 1956 (2.Aufl. 1991)
Orff, Carl: Rhythmisch-melodische Übung. Mainz 1933 (Orff-Schulwerk. Elementare Musikübung)
Orff, Carl: Klavier-Übung. Kleines Spielbuch (1934). Mainz 1962 (Orff-Schulwerk. Jugendmusik)
Orff, Carl: Erinnerung, in: Dokumentation Carl Orff und sein Werk, Bd. 1. Tutzing 1975, 9-69. Orff, Carl: Erinnerungen. Leben und Werk. Mainz 2020, 11-56 (Ist mit Orff 1975 weitgehend identisch)
Orff, Carl: Bairisches Welttheater. Tutzing 1980 (Dokumentation Carl Orff und sein Werk, Bd. 4)
Oosterveen, Corinna/Walter, Ute: Zwiefache. 24 Taktwechseltänze aus Bayern, Franken, Schwaben, der Pfalz und aus dem Elsass. Boppard o.J. (Tanzbeschreibungen mit CD)
Regner, Hermann: „Es reiten drei Reiter zu München hinaus …“ Zur pädagogischen Bedeutung volksmusikalischer Tradition im Orff-Schulwerk, in: Feldhütter, Wilfrid (Hg.): Lieder, Land und Leute. Musi, Tanz und Gsang in den bairisch-österreichischen Bergen. München 1980 (Widmung vor dem Buchtitel: „Carl Orff in Verehrung und Verbundenheit“)
Schochow, Rainer (Hg.): Carl Orff. Ein Führer zu den Bühnenwerken. Mainz o.J. (dt. & engl.)
Medien:
Bayerischer Rundfunk: „Woher kommt der Zwiefache?“. YouTube 6.3.2016
Bayerischer Rundfunk: „Musik in Bayern und Wirtshausmusik“. YouTube 5.10.21
Deutsche UNESCO-Kommission: Bundesweites Verzeichnis: Immaterielles Kulturerbe: Zwiefacher