Rondospiel / Rondo

Das Rondospiel ist ein wichtiges Modell für Improvisation und musikalische Selbsterfahrung in der Orff-Pädagogik. Die Rondoform besteht aus einem wiederkehrenden Teil (Refrain, Ritornell, Tutti) und mehreren wechselnden Teilen (Couplets, Strophen, Soli) mit dem Formschema A B A C A D  A … A. Sie ist in der Vokal- und Instrumentalmusik der europäischen Folklore allgegenwärtig. Orff hat daraus das bekannte französische Spiel- und Tanzlied „Sur le pont d‘Avignon“ in das Schulwerk aufgenommen (Orff/Keetman 1950-54, Bd. 3, 38f.). Der Begriff Rondo geht auf das französische Rondeau zurück, eine Instrumentalform der französischen Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, vor allem der Clavecin-Musik von François Couperin und Jean-Philip Rameau. Das Rondeau ist auch eine tänzerische Form, in der eine feste Schrittfolge in Kreisform mit solistischen tänzerischen oder gestischen Zwischenteilen abwechseln. Wir finden diese einfache Form z.B. bei J. S. Bach im letzten Satz seines Violinkonzerts in E-dur, das ausdrücklich als Rondeau bezeichnet ist und sich für eine tänzerische Improvisation eignet. Die Wiener Klassik greift die französische Form auf und entwickelt sie zum instrumentalen Rondo weiter, das häufig den Schlusssatz einer Sonate, eines Instrumentalkonzerts, eines Streichquartetts oder einer Symphonie bildet. Meist wechseln dann nur drei Zwischenteile mit dem Refrainteil ab.

Orff hat in seiner bekannten Definition der > Elementaren Musik festgehalten, dass diese keine großen Formen und keine Architektonik kennt, sondern „kleine Reihenformen, Ostinati und kleine Rondoformen“ (Orff 1963, in: Haselbach 2011, 147). Im 1. Band des OSWs > „Musik für Kinder“ wird im Rahmen der „Rhythmisch-melodischen Übung“ zunächst das Rhythmische Rondospiel im Rahmen der > Rhythmischen Sprechübung und der > Körperperkussion eingeführt. Die nächste Stufe bilden dann melodische Rondospiele auf Bordunbasis. Auf zwei ausgearbeitete Rondospiele folgen acht Refrainthemen als Aufgaben, die zu Rondos weitergeführt werden sollen (Orff/Keetman Bd. 1, 106ff.). Orff bemerkt dazu im Anhang: „Das Rondospiel ist … eine Übung zur Entwicklung von Formgefühl und Gestaltungskraft in freier Improvisation. Den hier aufgezeichneten Beispielen haben einfache, die unschwer selbst zu finden sind, vorauszugehen. Den Hauptteil A führen immer alle aus, die Zwischenteile B1, B2 usw. werden von einzelnen der Reihe nach improvisiert“ (ebd. 162).

Orffs langjähriger Mitarbeiter Wilhelm Keller lässt in seinem didaktischen Entwurf das Rondospiel auf freie Improvisationsversuche folgen, um das „Improvisieren in geschlossenen Formen“ (Keller 1963, 41f.) zu üben. Fähigkeiten im Improvisieren von rhythmischen Bausteinen und einfachen Reihenformen sollen also vorausgehen, die der Improvisierende abrufen kann, wenn er mit seinem B-, C-, D-Teil an der Reihe ist. Keller beginnt deshalb mit dem Rhythmischen Rondospiel mit Körperperkussion und Schlaginstrumenten ohne bestimmbare Tonhöhe. Um den typischen Rondoeffekt entstehen zu lassen, wird der Refrainteil als Tutti mit Ostinatoformeln strukturiert, von dem sich der Soloteil deutlich abhebt. Die nächste Stufe ist das melodische Rondospiel, bei dem der/die Improvisierende in seinem Solo auch tonale Gegebenheiten berücksichtigen muss. Orffs Prinzip der Elementaren Musik verlangt, mit einfachsten Formen aus zwei oder drei Tönen im pentatonischen oder im Fünftonraum zu beginnen. Keller betont, dass man nach einer Beherrschung der Formstruktur die tonalen Grundlagen verlassen kann, um dem Einfallsreichtum der Improvisierenden mehr Raum zu geben. Keetman stellt in dem von ihr gestalteten dritten Teil des 1. Bandes (Orff/Keetman 1950, 129-135) drei Rondos für Instrumentalgruppen vor, von denen das Rondo mit dem gesungenen Refrain „Jeder spielt so gut er kann und jetzt kommt der Erste (Zweite usw.) dran“ besonders deutlich die Verbindung von musikalischer Improvisation und Selbsterfahrung betont.

In der Tat stellt das Solospiel in festen formalen Abläufen eine psychologische Herausforderung dar, da der/die Improvisierende schlagartig aus dem schützenden Raum des Tutti hervortritt und deutlich hörbar wird. Der Anspruch des Solospiels sollte deshalb auf Freiwilligkeit beruhen. Der ermutigende Impuls für noch unsichere Spieler/innen bzw. in der inklusiven Praxis besteht in einem gewisse Freiraum, in dem rhythmische, metrische und tonale Normen vorübergehend verlassen werden. Der begleitende Pädagoge übernimmt dann die Funktion, den erneuten Einsatz des Tutti zu signalisieren. Das Rondo von Keetman kann auch mit der Variante „Jeder singt so gut er kann“ gestaltet werden, um den vokalen Ausdruck zu fördern.

Rainer Kotzian (2016, 26-37) hat sowohl zum Rhythmischen Rondo wie auch zu Keetmans Rondo „Jeder spielt“ einen ausführlichen didaktischen Entwurf mit methodischen und unterrichtspraktischen Hinweisen vorgestellt. Für den Bewegungsaspekt schlägt er die Textvariante „Jeder tanzt so gut er kann“ vor. Durch die Arbeit an Teilaspekten wie Körperinstrumente, Sprachimprovisation, szenisches Spiel und Tanz führt der Weg zu einer größeren Gestaltungseinheit, in der Sprache, Musik und Bewegung zusammenfließen. Der Einstieg wird durch Tonbeispiele und Videoaufnahmen erleichtert.

Die Arbeit mit dem Rondospiel ermöglicht einen handlungsorientierten Zugang zur Rondoform in der Kunstmusik des 18. und 19. Jahrhunderts. Durch tänzerische Realisierung und Instrumentalspiel entsteht ein kinästhetisches Erfahrungsmuster, das einen Transfer auf den mentalen Prozess beim Musikhören ermöglicht. Erst nach einem kinästhetisch organisierten Lernprozess ist es dann beim Anhören eines Instrumentalrondos überhaupt sinnvoll, graphische Symbole (z.B. Buchstaben oder Bilder) für das Erkennen bzw. Erinnern der einzelnen Formteile zu benützen, wie es in der Didaktik des Werkhörens gängig ist.

 

Literaturhinweise:

 

Haselbach, Barbara (Hg.): Studientexte zu Theorie und Praxis des Orff-Schulwerks. Basistexte aus den Jahren 1932-2020. Mainz 2011 (Studientexte

Keller, Wilhelm: Einführung in „Musik für Kinder“. Mainz 1963

Kotzian, Rainer: Das Orff-Schulwerk neu entdecken. Spielstücke und Unterrichtsmodelle. Mainz 2016  (mit DVD und App)

Orff, Carl/Keetman, Gunild: Musik für Kinder. Orff-Schulwerk. 5 Bde. Mainz 1950-54

 

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