Die Komposition „Ekstatischer Tanz“ von Gunild Keetman gehört zu dem choreographischen Zyklus „Miniaturen“ von Maja Lex aus dem Jahr 1931, der in Florenz 1931 und Paris 1932 ausgezeichnet wurde (Abraham/Hanft 1986, 58). Im Druck erschien der „Ekstatische Tanz“ 1933 in der Reihe „Orff-Schulwerk. Elementare Musikübung“ (Keetman 1933, > Elementare Musikübung). Der Titel verweist auf das starke Interesse der > Rhythmus- und Tanzbewegung an orientalischen Inhalten und Kulturtechniken. Dabei ist das Adjektiv „orientalisch“ im Sinne der künstlerischen Rezeptionsform des Orientalismus zu verstehen, wie er z.B. auch im Museumskonzept „Weltkulturen und moderne Kunst“ (Wichmann 1972, 42ff.) verwendet wird. In der Günther-Schule ist der Begriff u.a. durch die ethnologische Schallplattendokumentation „Musik des Orients“ (Musik des Orients 1928) präsent. Im unmittelbaren Umkreis der Günther-Schule zeigt sich Orientalismus im Schaffen Mary Wigmans, speziell in deren Tanzwerken „Ekstatische Tänze“ von 1917 und „Vier Tänze nach orientalischen Motiven“ von 1920 (Müller 1986) hervor. M. Lex wurde zum Zyklus „Miniaturen“ durch persische Miniaturen inspiriert (Padilla 2002, 88).
Der Orff-Forscher Werner Thomas hat als Erster versucht, den Kompositionsstil Keetmans wissenschaftlich zu beschreiben. Er unterscheidet als bevorzugte Typen die „großen Ostinati“ und die „Tänze für Flöte und Schlagwerk“ und ordnet den „Ekstatischen Tanz“ dem ersten Typus zu. Er stellt fest: „In den großen Bewegungsmusiken Gunild Keetmans hat die Experimentierphase der tänzerisch-musikalischen Arbeit an der Güntherschule einen Höhepunkt gefunden“ (Thomas 1977, 20). Tatsächlich bleiben die Arbeitstechniken dieser Experimentierphase im musikalischen Satz und in der Form deutlich greifbar (Fischer 2009, 100ff.), denn der grundlegende 5/4-Takt geht aus der bewegungsnahen Patternbildung von Körperperkussion und Rasseln hervor. Die Besetzung mit 2 Rasseln, Handtrommel, Becken und kleiner Trommel, 3 kleinen Pauken und Klatschchor ist ausschließlich perkussiv. Das Stück bekommt durch die Metronomangabe von Viertel=160 eine geradezu rasende Dynamik. Die Basis bildet ein eintaktiges Pattern der Rasseln, das vom Klatschchor übernommen wird. Im 11. Takt setzten die auf F, c, f gestimmten Pauken mit einem Pattern von acht Takten ein, das ein Gitterwerk aus Achteln asymetrisch in 3+3+2+2 gliedert. Besondere solistische Akzente entstehen durch ein kurzes rhythmisches Motiv im Becken, das von den Pauken durch eine quasi abstürzende Folge f-c-F beantwortet wird. Der Schlussblock besteht aus einer 12-taktigen Verdichtung der Pauken-Ostinati.
Literaturhinweise:
Abraham, Anke/Hanft, Koni (Hg.): Maja Lex. Ein Porträt der Tänzerin, Choreographin und Pädagogin. Köln 1986
Andrews, Stephanie K.: Gunild Keetman. Das Schulwerk, Music and Movement Education, and Critical Pedagogy, in: American Educational History Journal, Vol. 38 (2011), Nr. 2, 305-320.
Fischer, Cornelia: Gunild Keetman und das Orff-Schulwerk. Elementare Musik zwischen künstlerischem und didaktischem Anspruch. Mainz 2009
Keetman, Gunild: Tanz- und Spielstücke. Ekstatischer Tanz. Nachtlied. Mainz 1933 (Orff-Schulwerk Elementare Musikübung, Heft J 2,3)
Keetman, Gunild: Zwei Tänze. 1. Für Klatschchor, Rasseln und Schlagwerk (= Ekstatischer Tanz), in: Orff/Keetman 1950-54, Bd. 5, Mainz 1954, 101-107
Keetman, Gunild: Erinnerungen an die Günther-Schule (1978), in: Haselbach, Barbara (Hg.): Studientexte zu Theorie und Praxis des Orff-Schulwerks 1, Basistexte aus den Jahren 1932-2010. Mainz 2011 (dt. und engl.)
Müller, Hedwig. Mary Wigman. Leben und Werk der großen Tänzerin. Weinheim 1986
Orff, Carl/Keetman, Gunild: Musik für Kinder. Orff-Schulwerk. 5 Bde. Mainz 1950-54
Padilla, Graziela: Maja Lex, in: Kugler, Michael (Hg.): Elementarer Tanz – Elementare Musik. Die Günther-Schule München 1924 bis 1944. Mainz 2002, 76-94
Regner, Hermann/Ronnefeld, Minna (Hg.): Gunild Keetman. Ein Leben für Musik und Bewegung. Mainz 2004 (Dt. und Engl.), mit DVD
Thomas, Werner: Musica Poetica. Gestalt und Funktion des Orff-Schulwerks. Tutzing 1977
Wichmann, Siegfried (Hg.): Weltkulturen und moderne Kunst. Die Begegnung der europäischen Kunst und Musik im 19. und 20. Jahrhundert mit Asien, Afrika, Ozeanien, Afro- und Indo-Amerika. München 1972
Medien:
Tonaufnahmen:
Gunild Keetman Collection. Harmonia Mundi Freiburg 1991, Spur 17
Carl Orff/Gunild Keetman: Musica Poetica. Orff-Schulwerk. Dokumentation auf 6 CDs. BGM Music 1994, CD 6, Spur 5. Vgl. dazu auch > Musica Poetica
Musik des Orients. Schallplattenreihe hg. und kommentiert von Erich Maria Hornbostel. Berlin 1928. Drei Schallplatten dieser Reihe befinden sich im Archiv des Orff-Zentrums München
Videoaufnahmen:
Ekstatischer Tanz. Tanzgruppe Maja Lex der Deutschen Sporthochschule Köln, Leitung Graziela Padilla. Videoaufnahme vom Orff-Schulwerk-Symposion 1980. DVD in: Regner/Ronnefeld 2004
Ekstatischer Tanz. Choreographie Barbara Haselbach. Videoarchiv Orff-Institut Salzburg
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Bearbeitet am 28.9.2022
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